Eröffnung der Ateliervorschau
im Kunstverein Paderborn
Wir freuen uns auf Ihren/Euren Besuch!
Eröffnungsrede von:
Dr. phil. Stepahn Trescher
Oooh und Aaaah!
von Stephan Trescher
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Als man mich eingeladen hatte, hier heute Abend ein paar einleitende Worte zu verlieren, hat man mir carte blanche erteilt, also eigentlich die Erlaubnis, über alles zu reden was mir so in den Sinn kommt. Da ich mich aber für die Diskussion der Bundesligaergebnisse nicht kompetent genug fühle, übers Wetter sowieso alle reden außer der Bahn, über die wiederum auch jeder spricht, die große Politik zu viele Fettnäpfchen bereit hält (und ich mich so ungern frittieren lasse), habe ich einen Moment lang ernsthaft überlegt, über die hiesige Kulturpolitik zu sprechen. Dann aber dachte ich: Och nöö …, sowas will doch keiner hören.
Da rede ich doch lieber über Dinge, die uns ein Ohh und ein Aaah entlocken. Denn O A ist die offizielle Abkürzung für Offizielle Abkürzung – und für Offene Ateliers!
Die sind hier fast schon so etwas wie eine ständige Einrichtung geworden, jedenfalls eine feste Größe, im dreiundzwanzigsten Jahr ihres Bestehens.
Insofern muß ich gar nicht viele Worte darüber verlieren, wie sinnvoll so eine konzertierte Aktion ist, ein ganzes Wochenende voller offener Türen und Besuchsmöglichkeiten von Ateliers und ihren Bewohnern respektive Betreibern, den Arbeitern der Kunst. Vielfalt und Abwechslungsreichtum sind garantiert – und das gilt auch für die Ausstellung hier im Kunstverein, die ich helfen darf zu eröffnen, die Ateliervorschau, die, wiewohl sie nur ein Köder, ein Teaser, ein Appetithäppchen sein kann für die Grande Tour, den Zug durch die Kunstgemeinde am 31. Mai und ersten Juni, immer noch so reichhaltig ist, daß ich alle anwesenden Künstlerinnen und Künstler um Nachsicht bitte, wenn ich ihre Werke gleich nicht erwähnen sollte – es gibt davon schlicht zu viele. Und meine Auswahl ist, wie sich das für jede Kunstbetrachtung von selbst versteht, höchst subjektiv.
Um aber Ihre Neugierde doch ein kleines bisschen anzufachen und das breite Spektrum des hier Gebotenen zu umreißen, möchte ich auf ein paar Exponate, die es auf den beiden Etagen des Kunstvereins zu entdecken gibt, wenigstens ansatzweise eingehen.
Wo wir gerade schon die hiesige Kulturbürokratie gestreift haben, deren Kompetenzen sich in Höchstleistungen im Kaffeetrinken zu erschöpfen scheinen: Wir haben hierfür die ideale Präsentidee, eine Art von konzeptueller Schmuggelware, hier vorne direkt im Schaufenster aufgesockelt, das Kaffeeservice von Svenja Langer. Kommt schlicht weiß daher, mit einem schmalen farbenfrohen Dekorstreifen am Rand. Es eignet sich für jede Amtsstube, jeden Schreibtisch, man kann zur Not auch Kräutertee daraus schlürfen. Sollte sich dabei aber vor Augen führen, daß das bemerkenswert farbenfrohe Dekor tatsächlich aus geschredderten Banknoten besteht, so daß sich derjenige, der es mit dem Heißgetränk zum Munde führt, fragen kann, wie er sein Geld vernichtet, wie er’s verwendet oder verschwendet, wenn es denn seines ist – und darf, außer bei der erstaunlichen Schönheit, auch bei dem ganz anders gelagerten Gedanken verweilen, wie denn der Goldrand am Kaffeeservice unserer Vorfahren sich in einen Geldrand verwandeln konnte und was dieser Unterschied alles an Konnotationen birgt.
Wenn ich so in Gedanken schon generationsübergreifend unterwegs bin: Das zeichnet ja nicht zuletzt die offenen Ateliers aus, daß die Teilnehmer und -innen sehr unterschiedlichen Altersgruppen angehören. Was ich aber noch viel spannender finde: Daß auch die jeweiligen Bezugspunkte bzw. -Rahmen sehr unterschiedlichen Zeiten und Gebieten der Kunstgeschichte entstammen.
So begegnen uns neben den Freuden der Abstraktion, der gestischen wie der konstruktiven, hier unter anderem Reminiszenzen an sakrale Kunst, mit einem ausschnitthaft wiedergegebenen, nackten Gekreuzigten in Öl auf Leinwand und respektheischendem Format, in überwiegend naturalistischem Duktus. Nebenan wird mit ganz anderen Mitteln fotorealistisch gearbeitet, während es ein paar Schritte weiter eindeutig ins Surreale, ins Traum- und Alptraumhafte kippt.
Aber ganz gleich, ob Körperoberflächen aufbrechen und mechanisches Räderwerk dahinter offenbaren oder makellose Model-Mädchen vor apokalyptischen Feuersbrünsten stehen, ob riesenhafte Vögel aus dem Nachtdunkel auftauchen oder verwaistes Spielzeug ein unheimliches Eigenleben zu entfalten scheint, das die Abwesenheit alles Menschlichen nur umso deutlicher werden lässt – es bleibt alles gleichermaßen düster und bedrohlich.
Da kann man es schon durchaus als erfreulich empfinden, wenn uns in der Ausstellung auch geradezu klassisch anmutende Porträts begegnen, wobei das so gänzlich ungebrochen eigentlich nirgends passiert. Am ehesten noch in der Arbeit von Claudia Träger, die in ihrem “At the edge II” einen alten bärtigen Mann mit Kapuze zeigt, der uns im doppelten Sinne gezeichnet erscheint, eben auch gezeichnet vom Leben, vom Wetter, vom Alter. Wenn man die Erläuterungen der Künstlerin zu ihrem Tun kennt, weiß man, daß in dieser Hinsicht der Titel der Arbeit den Schlüssel zum Verständnis liefert: At the edge, also am Rand ist ganz wörtlich gemeint und auf die randständige Existenz des Porträtierten gemünzt, denn es sind Obdachlose, die die Künstlerin in dieser Serie in den Fokus nimmt.
Dass sie auch ihren Malgrund passend zum Motiv gewählt hat, nämlich schlichte Wellpappe, die oft genug im Leben auf der Straße eine lebensrettende, schützende Rolle spielt, ist selbstverständlich auch auf einer inhaltlichen Ebene bedeutsam.
Allerdings gewinnt sie ihrem Material auch in ästhetischer Hinsicht Interessantes ab: Während der Mensch mit schwarzem Graphitstift auf papp-braunem Hintergrund wiedergegeben wird, das Material also quasi „naturbelassen” bleibt, gewinnt der Hintergrund in zarten Acrylfarbverläufen fast schon irisierende Qualitäten – wollte man es despektierlich benennen, könnte man von einer Strukturtapete in Pastelltönen sprechen, ich plädiere jedoch für einen wertschätzenden Begriff wie „papiernes Relief“.
Das führt uns wieder einmal vor Augen, wie existentiell selbst für Zeichnung und Malerei das jeweilige Material ist – eine Problematik, mit der sich viele Arbeiten der Ausstellung auseinandersetzen. Da gibt es wilde Assemblagen aus Naturmaterialien, Gewebe und Farben, Bilder mit textilen Strukturen, deren Herkunft mir bis heute schleierhaft ist, Gemälde, die Sand, Erde, Gips und vielleicht auch Kaffee verwenden, um der Oberfläche eine fast schon geologisch anmutende Tiefenstruktur zu verleihen.
Ganz zu schweigen von der wilden Vielfalt, der Materialseligkeit, die sich im skulpturalen Bereich Bahn bricht: Behauener Stein auf großem Sockel, geschnitztes und bemaltes Styropor an der Wand, zierliche Gefäße aus Pappmaché, ein Miniaturtorso aus Ton, oder bonbonbunte Lutscherblumen aus Glas begegnen uns da und behaupten ihre Eigenständigkeit.
Jetzt aber wollen wir alles Farbige mal beiseiteschieben, auch die schweren grüngelb gestreiften Plastikplanen, und damit den Vorhang öffnen auf die Photographie – und zwar in ihrer puren, ursprünglichen Form:
Sie begegnet uns hier relativ selten – aber es gibt sie noch, die schönen Dinge. Wie z.B. das gleich mehrfach aus der Zeit gefallene, in analogem Schwarzweiß aufgenommene Bild einer Bahnhofsgaststätte, wie ich aufgrund der Architektur annehme, mit gar seltsamen Lampen und einem ganz erstaunlichen Stuck-Aufkommen.
Oder ganz ähnlich, wenn auch in größerem Format, der silhouettenhafte Kuss hinter der durchscheinenden, aber nicht durchsichtigen, geriffelten Glaslamellenwand, den Heinz Dieter Vosskamp ins Bild gebannt hat, so daß alltägliche Situation und häßliche Gegenwartsarchitektur zusammen ein höchst reizvolles Bild ergeben, im Niemandsland zwischen Verbergen und Offenbaren.
Dort, zwischen Sichtbarwerden und Verschwinden, begegnet uns auch die großformatige Fotografie von Dagmar Venus: Die Überreste eines Stücks Street-Art, einem wahrscheinlich auch nur als Papier auf eine Wand geklebten Druck eines grimmig dreinblickenden, alten Männergesichts unter absurd unpassender Batman-Maske, hängen da in Fetzen von der weiß verputzen Hausfassade und machen einen eigentümlich reizvollen und zugleich vollkommen desolaten Eindruck.
Statt Superheldentum gibt es hier nur noch die welke Blume eines alten weißen Mannes zu besichtigen. Sozusagen das Gegenteil einer Collage, also die Décollage, in diesem Falle ein unfreiwilliges, schlicht Wind und Wetter geschuldetes Sich-Ablösen.
Aber auch Collagen gibt es hier: Besonders prägnant, trotz ihres kleinen Formats, ist da die Arbeit von Meri Berg, schwarz und weiß vor knalligem Rosa (und von ähnlichem Gesichtsverlust geprägt): Da sitzt ein Mensch in glänzendem Kleid und dick besohlten Schuhen auf hölzernem Stuhl – nur der Kopf ist explodiert oder in Rauch aufgegangen – jedenfalls durch eine große Wolkenformation ersetzt. Dieser head in the cloud erinnert mich unweigerlich und reflexhaft an Zeilen aus dem Beatles-Song The fool on the hill.
Aber während dieser Text nur in meinem Kopf geschrieben steht und durch nichts als bloße musikalische Assoziation zu rechtfertigen ist, gibt es auch jene Grenzgebiete, wo die Fotografie sich gezielt mit anderen Genres verbindet, zum Beispiel mit der Poesie:
Larissa Lenzes Projekt Ragnarök ist hier exemplarisch durch ein Bild vertreten, in dem ein handschriftlich beschriebenes Blatt Papier unter einer Wasser- oder Eisschicht zu treiben scheint, die die Handschrift schwer verzerrt und nur noch mühsam lesbar lässt – aber wenn man sich die Mühe macht, geht’s:
„Zu Beginn des dritten Jahrtausends / fand die Kälte zurück in die Welt.” So beginnt der Text – und nimmt damit Bezug auf den Titel. Für alle in der nordischen Mythologie nicht so Bewanderten: Ragnarök heißt dort die Geschichte von Schicksal und Untergang der Götter, bei uns auch bekannt als “Götterdämmerung” – und meint letztlich auch nichts anderes als den Weltuntergang. Da fröstelt es einen, auch in diesen eher zum Gegenteil tendierenden Tagen verfrühter sommerlicher Wärme.
Und wenn wir uns mit solchen klimakrisenhaften Zukunftsgedanken vielleicht lieber nicht befassen wollen, können wir ja immer noch versuchen, uns an die Vergangenheit zu erinnern. Nur müssen wir dann feststellen, daß unsere Erinnerung nicht nur ein sehr subjektives Ding ist, sondern vor allem ein ziemlich löchriges, mit zunehmend großen Lücken. Und deshalb gilt für uns alle, was Wolfgang Brenner so schön ins Bild und in die Schrift gesetzt hat: „Die Lücke wird mit einer Fiktion gefüllt“. Denn natürlich halten wir die Löcher in unserer eigenen Vergangenheitserzählung nicht aus und ergänzen die Fehlstellen dann eben durch frei dazufabulierte Erzählungen. Das Kernmotiv hierzu stammt aus Brenners eigenem Familienfotoalbum und zeigt eine fröhliche Flussfahrtgesellschaft auf dem Rhein, wo der Künstler seine frühe Kindheit verlebt hat – aber er kann nur vermuten, daß auf dem Schiff auch seine Mutter zu sehen ist.
Und wer weiß schon, wer auf dem Schiff unterwegs ist, das in die Gegenrichtung fährt?
Aber die Verwendung von Schrift im Bild bedeutet keineswegs, dass es immer besonders tiefgründig und bedeutungsschwer zugehen muß. Den Beweis hierfür tritt Genadi Isaak an. Bei ihm ist die Lücke, diese entsetzliche Lücke, nur eine zwischen zwei Zähnen. Und der integrierte Text verrät: „[…] Ein Entkommen ist möglich.“
Das ist ein tröstlicher Gedanke – aber bevor ich schließe und Sie in die Freiheit entlasse, möchte ich Sie noch einmal auffordern: Schauen Sie sich alles selbst, ganz genau und in Ruhe an, denn das ist in der Kunst: das A und O!
Rede zur Ateliervorschau der Offenen Ateliers im Kunstverein Paderborn am 16. Mai 2025